Ortschronist Rolf Langhof bewahrt Sagenschatz des Dorfes vorm Vergessen
VON FRANK PFEIFER
Parthenstein/Großsteinberg
Während ein Kobold Großsteinberg über lange Zeit köstliches Wasser spendierte, hinterließ der Leibhaftige im Dorf barbarische Spuren. So berichtet es jedenfalls der Sagenschatz, den Ortschronist Rolf Langhof jetzt ins öffentliche Bewusstsein zurückholte. Wanderer sollten die Augen aufhalten.
„Mein Vorgänger, Helfried Mengel, hatte sich intensiv mit Sagen der Region beschäftigt und sie niedergeschrieben“, berichtet Langhof. „Darunter befinden sich auch die zwei aus Großsteinberg, die ihm seine Oma erzählt hatte. Deren Texte fand ich in der Ortschronik.“
Sagenschatz vorm Vergessen bewahrt
Dort allerdings wären sie wahrscheinlich allmählich in Vergessenheit geraten, wenn Langhof nicht auf die Idee gekommen wäre, sie auf Schilder drucken zu lassen, die er mit Dieter Schönfeld und Jochen Künne vom Heimatverein dort positionierte, wo sich die überlieferten Geschichten abspielten. „Die Beiden sind sehr engagiert und handwerklich begabt, also waren sie genau die Richtigen, um die Alupfosten einzubetonieren.“
Mit Bürgermeister Jürgen Kretschel hatte der 76-Jährige das Vorhaben im Vorfeld abgesprochen. Die Schilder befinden sich jetzt auf Gemeindeland, und zwar gar nicht allzu weit voneinander entfernt, denn das Unfassbare spielte sich in beiden Fällen am Windmühlenberg ab.
Kobold versorgt Großsteinberg mit Taufwasser
Dem Wirt der alten Schenke im Oberdorf gehörte dort eine Wiese mit Weiher. Als sein jüngster Sohn die Kühe angepflockt und sich niedergesetzt hatte, erspähte er am Gewässer eine Gestalt mit schwarzem Fell, struppigen Haaren und wohl auch roten Augen, die im Handumdrehen verschwand, als die Kirchturmuhr schlug.
Die Sage vom Taufborn
Dem Wirt von der alten Schenke im Oberdorf gehörte ein gutes Stück Wald und eine Wiese mit Weiher am Westhang des Windmühlenberges. Das war eine saftige Kuhweide. Im Dorf aber erzählte man sich, dass bei den alten Weiden am Weiher des Nachts die Kobolde ihr Unwesen treiben, herumtanzen und mit Lichtern winken, um Menschen in das Wasser zu locken.
An einem wunderschönen Morgen, die Sonne war hinterm Berg aufgestiegen, trieb der jüngste Sohn des Wirtes die beiden Kühe zur Weide und pflockte sie an. Nebelschleier hingen noch im Tal und das Gras war feucht. Der Junge aber hatte Lust, sich eine Weidenpfeife zu schnitzen. So suchte er einen geeigneten Ast, setzte sich dann in die Nähe der Kühe auf einen Stein und begann mit der Schnitzerei. Als er plötzlich aufblickte, sah er, wie am Weiher etwas herumturnte, wie sich die Zweige der Weide wild bewegten. Und dann sah er etwas Dunkles – kein Zweifel – das war der Schwarze Mann, der Kinderschreck, der irgendwo im Walde wohnen sollte. Er hatte ein schwarzes Fell, struppige Haare, zottige Ohren. Und waren da nicht auch zwei kleine rote Augen? Der Junge war zutiefst erschrocken. Doch der „Schwarze“ sprang ans Ufer, beugte sich zum Wasser und schlürfte ganz laut, um seinen Durst zu stillen. Auf einmal schlug die Kirchturmuhr und alles war verschwunden.
Der Junge erzählte es daheim und die Mutter sagte, das habe schon seine Richtigkeit. Er sei ein Sonntagskind, würde mehr sehen, als alle anderen und vorm Schwarzen Mann brauche er sich nicht zu fürchten. Ja, Sonntagskinder könnten sich sogar etwas wünschen.
Es war eine Zeit vergangen – Sommer und Johannistag. Wieder brachte der Junge die Kühe zur Weide und lief dann in den Wald, um Brennholz zu sammeln. Gegen Mittag verspürte er großen Durst und lief zur Wiese. Doch das Essigwasser im Krug war warm geworden und schmeckte fad. Da rief er laut: „Ach wenn ich doch gleich frisches Wasser zu trinken hätte!“ Im gleichen Augenblick sprang eine muntere Quelle aus der Wiese mit frischem, silberhellem Wasser. Der Junge war sprachlos, dachte aber sogleich, dass der Schwarze Mann seinen Wunsch gehört haben müsse. Und wirklich, oben in den Ästen der Weide saß er und dem Jungen schien es, als hätte er in die Hände geklatscht und gurgelnd gelacht. Da das Wasser wunderbar hell war und köstlich mundete, holte man es bald und dann immer, wenn ein Kind geboren und getauft wurde. Später wurde die Quelle mit Feldsteinen ummauert und Taufborn benannt, der Weg, der zu ihr führte, hieß Taufbornweg.
Die Dorfbevölkerung wusste, dass nachts am Weiher Kobolde ihr Unwesen treiben, herumtanzen und mit Lichtern winken, um Menschen ins Wasser zu locken. Der Sohn des Wirtes war allerdings ein Sonntagskind und durfte sich vom „Schwarzen Mann“ sogar etwas wünschen. Im Sommer verspürte er auf der Wiese Durst und rief laut: „Ach wenn ich doch gleich frisches Wasser zu trinken hätte!“ Im selben Augenblick entsprang eine muntere Quelle, und der Kobold oben im Geäst einer Weide lachte gurgelnd.
Teufel hilft dem Müller
Auf der selben Anhöhe stand eine Windmühle, die dem Berg seinen Namen gab. Es trug sich zu, dass über Wochen kein Lüftchen wehte, mit dem sich hätte Getreide mahlen lassen. Der Müller blies Trübsinn, als ein junger Bursche mit einer Flasche edlen Korns vorbeikam, der ihm einen Schluck anbot. Kaum hatten sie getrunken, kam eine leichte Böe auf.
Der seltsame Müllergeselle zu Großsteinberg
Vor langer Zeit stand auf dem Windmühlenberg in Großsteinberg eine alte Windmühle. Die Bauern, die ihr Korn mahlen lassen wollten, mussten mit ihren schwer beladenen Wagen den Berg hinauf fahren, aber sie taten es gern, denn der Müller war ein rechtschaffener Mann. Einmal, an einem der ersten schönen Frühlingstage, war den ganzen Tag kein Wölkchen am Himmel zu sehen, kein Lufthauch zu spüren. Die Sonne war schon im Untergehen und die Müllersfrau stülpte die Tontöpfe auf den Gartenzaun und schüttelte dabei den Kopf: „Immer noch kein Wind!“ Der Müller lehnte an der Tür und rauchte ärgerlich sein Pfeifchen: „Nun sind die Bauern den Winter über mit dem Dreschen fertig und warten auf ihr Mehl. Seit Wochen drehen sich die Flügel nicht.“
Als er so missmutig dreinblickte, kam ein junger Bursche just die alte Poststraße herauf. „He Müller, warum so griesgrämig, war gerade unten im Wirtshaus und hab von eurem Kummer gehört. Seht her, die Flasche ist voll edlen Korns. Trinken wir einen zünftigen Schluck und die Welt sieht wieder anders aus. Und wenn ihr mich noch heut’ als Gesell einstellt – heiha, da bläst morgen der Wind.“ „Da wird nichts draus“ meinte der Müller, obwohl er an dem kräftigen Burschen Gefallen fand – „aber einen guten Schluck werd’ ich nicht abschlagen.“
Mit einem Satz sprang der Bursche über den Zaun, ließ den Korken aus der Flasche pfeifen und rief: „Zum Wohl, ihr Müllersleut. Frau Müllerin auch einen Schluck?“ Kaum aber hatten sie die Flasche abgesetzt, begann der Wind in den Blättern zu säuseln. „Wahrhaftig“, sagte der Müller, „ihr bringt mir Glück und ich stelle euch ein.“ „Da unterschreibt das Papier und sagt, was zu tun sei, ich fange sofort mit der Arbeit an.“
In der Nacht, da alle Hände im Dorf ruhten und auch die Müllersleut’ im tiefen Schlaf lagen, begannen sich die Flügel der Mühle zu drehen, ohne dass ein Wind aufgekommen war. Das Kammrad ratterte und der Laufstein sauste wie noch nie. Als der Müller am zeitigen Morgen erwachte, war sein erster Blick zum Fenster hinaus: „Kein Windhauch!“ Ärgerlich betrat er die Mühle. Doch wie staunte er, als er die vielen Säcke voll Mehl sah. Und obenauf hockte der Müllergesell’. „Ja, die ganze Nacht hat der Wind geblasen, Herr Meister, aber ich wollte euch nicht erst wecken, bin ja kräftig genug.“ Dem Müller kam die Sache nicht geheuer vor. Doch er lief froh in das Dorf hinunter, damit die Bauern ihr Mehl abholen möchten.
In den nächsten Nächten geschah das gleiche Wunder. Tagsüber saß der neue Müllergeselle im alten Wirtshaus und ließ sich den Wein schmecken. Besonders wenn die Fuhrleute, die nach Leipzig zogen, Rast machten, ging es lustig zu. Die Bauern im Ort aber meinten, wenn der Geselle lachen würde, klänge es, als meckere eine Ziege, und beim Müller geht’s nicht mit rechten Dingen zu. Entweder habe er den Kuwwelt (Kobold) oder womöglich sei der neue Geselle gar der „Leibhaftige“.
Das Getreide war bald gemahlen. „Jetzt habt ihr euer Mehl und in zehn Jahren hol’ ich eure Seel’!“. Der Müller war vor Schreck ganz bleich, riss aber dann ein Scheit Holz aus dem Ofen und schlug damit drei Kreuze, dann warf er es – denn jetzt wusste er es ganz genau – nach dem Teufel. Doch der war plötzlich verschwunden. Das Feuer verfing sich in einem Bündel Werg und bald stand die Mühle in hellen Flammen. Einige Mauerreste sind später abgebrochen worden. Den Teufel hat keiner wieder gesehen. Doch der Berg, auf dem die Windmühle stand, heißt noch heute der Windmühlenberg.
Weil ihm der Knabe Glück brachte, stellte ihn der Müller ein. Schon in der Nacht begannen sich die Flügel der Mühle zu drehen – ohne Wind. Und am Morgen fand der Müller Säcke voller Mehl vor. Nacht um Nacht geschah das gleiche Wunder, bis der Geselle sagte: „Jetzt habt ihr euer Mehl, und in zehn Jahren hol’ ich eure Seel’.“
Großsteinberger Mühle brennt nieder
Da war dem Müller klar, er hatte es mit dem Teufel zu tun. Er riss ein Scheit Holz aus dem Feuer, schlug damit drei Kreuze und warf es nach Satan. Doch das Feuer verfing sich in einem Bündel Werg, und die Mühle brannte nieder.
Wann sie verschwand, scheint niemand mehr zu wissen. „Auf einer Karte um 1840 ist sie noch verzeichnet“, sagt Langhof. Sein Sagen-Schild positionierte er an der Bergstraße in Höhe der Auffahrt zur früheren Windmühle.